Was für ein Jahr, Leute!
Michael Blessing

“Wahnsinn” denke ich mir und schaue auf die noch leere Bühne im Club Bärenzwinger, auf der in wenigen Minuten das Konzert der A cappella-Band “4plus” startet.  “Hier hast du auf den Tag genau vor genau sechs Jahren zu dieser Uhrzeit auch gestanden und darauf gewartet, dass der Einlass für dein erstes Festival beginnt.” Es ist der 28. Dezember 2018. 

Stolz vermischt sich mit Wehmut. In diesen sechs Jahren ist so unfassbar viel bei meinem Chor und auch mir selbst passiert. Mehr und immer größere Festivalausgaben … mittlerweile um die 50 Sängerinnen und Sänger (damals waren es 15) … Geburt meiner Tochter … ganz wunderbare neue Freundschaften sind durch den Chor gewachsen und Qualität und Lerntempo haben spürbar angezogen. Standen damals 2012 bei mir karrieretechnisch noch alle Zeichen auf Gesangspädagogik, fühle ich mich heute da angekommen, wo ich eigentlich hingehöre: Chorleitung und Kulturmanagement. Ich würde jetzt hier im Bärenzwinger gerne mit jemandem auf all das anstoßen, aber die wahre Dimension muss ich wohl ohnehin mit mir selbst ausmachen.

“You carry the world on your shoulders.
Those little miracles you do.
I see them face the storm again.
But who in the world is gonna carry you.”   

Ein traumhafter Songtext, den Paul Millns dazu geschrieben hat. Sollte unbedingt ins Programm.
Eigentlich hatte ich mir nur einen einfachen Jahresrückblick vorgenommen. Wird es ab hier auch, aber der sentimentale Einstieg musste einfach mal sein. Passt ja auch zum Jahreswechsel ;-)

Was für ein Jahr, Leute!!! Das alles dominierende Thema war die Produktion unserer CD. Wer so etwas noch nie selbst auf die Beine gestellt hat, kann sich kaum vorstellen, was da alles dranhängt. Zwischen den ersten Schritten zur Finanzierung und der Lieferung der fertigen Exemplare lagen etwa 15 Monate Terminfindung, Locationsuche, Aufnahmesessions, Layout und Postproduktion. Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist uns allen das Fotoshooting mit René Gaens morgens um 7 bei eisigen 2 Grad Celsius. Nun halten wir unser “Debüt!” in den Händen und sind stolz auf das Ergebnis.

Unsere ersten richtigen “Auswärtskonzerte” in Görlitz und beim Berliner Festival “Total Choral” standen im April an. “Was? War das dieses Jahr?” war dazu neulich ein recht vielsagender O-Ton aus dem Chor. Dem voraus ging ein sehr intensives Probenwochenende in der Neißestadt. Auf diesem haben wir erstmals sogenannte “Dance Breaks” eingeführt. Immer wenn die Energie raus und die Konzentration gesunken war, wurden Songs wie “Uptown Funk” aufgedreht und getanzt, was das Zeug hielt. Der Flow dieses Wochenendes war unbeschreiblich und allerspätestens danach waren die vielen neuen Mitglieder, die wir Anfang des Jahres aufgenommen haben, Teil der Familie.

Familie ist ein gutes Stichwort, denn genauso fühlt sich der Jazzchor für mich, und wie mir zugetragen wurde für viele andere Chormitglieder auch, an. Ich kann gar nicht oft genug hervorheben, wie schön es ist zu sehen, dass Neu-Mitglieder sich nicht erst monate- bis jahrelang beweisen und ihren Platz in der Gruppe erarbeiten müssen, sondern meist nach wenigen Proben als vollwertige Mitglieder integriert sind. Deshalb spielt für mich bei der Vergabe von Soli zum Beispiel die Dauer der Mitgliedschaft keine Rolle. Leider mussten wir in diesem Jahr auch ein paar Familienmitglieder wieder ziehen lassen, weil sie beruflich und privat an einem anderen Ort ihr Glück gesucht haben.

Der Sommer stand bei uns im Zeichen des Palais Sommers. Zwei Konzerte. Ein komplett eigenes mit 1200 Zuschauern und die bereits traditionelle Chornacht, die wir schon seit einigen Jahren mit dem Palais Sommer zusammen gestalten, mit 1700 Besuchern. Ich sag euch: Wer immer noch behauptet, Chorsingen sei am Aussterben oder zu bieder, hat noch nie die Stimmung auf der Palais-Wiese miterlebt.

Und dann war da noch dieses eine surreale Event: Der Auftritt zusammen mit Jan Böhmermann im Neo Magazin Royale. Zwischen erster Anfrage und der Aufzeichnung verging lediglich eine Woche. Du solltest wissen, dass ein neuer Song bei uns in der Regel mindestens ein bis zwei Monate lang geprobt wird, bevor er auf die Bühne darf. Aber der Stress hat sich wirklich gelohnt, auch wenn erwartungsgemäß nicht alle Reaktionen auf unser Mitwirken an der Dresdner Sendung positiv waren.

Eigentlich war das schon genug und ist nicht mehr zu toppen. Denkste. Am 16. Dezember wurden wir nämlich gleich noch mit zwei Förderpreisen für Dresdner Laienchöre überrascht. Einem ersten Preis für die Interpretation eines fremdsprachigen Liedes und einem zweiten für unser A cappella-Festival SING:X in der Kategorie “Gesellschaftliches Engagement”. Den Gewinner-Song “I´ll call thee Hamlet” aus der Arrangement-Feder von Christoph durften wir damit zum zweiten Mal in diesem Jahr auf einer der großen Dresdner Bühnen singen. Ihr erinnert euch, das erste Mal war zur 100. Vorstellung des “Hamlet” im Schauspielhaus. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn Projekte, an denen teilweise bis zu 12 Mitglieder monatelang in ihrer Freizeit arbeiten, eine solche Anerkennung von außen erfahren. Unseren Chor haben diese vielen Projekte enorm zusammengeschweißt. Als der letzte Auftritt in diesem Jahr vorbei war, habe ich mir vorgenommen: “Im nächsten Jahr wird alles etwas entspannter.”

Spürbar füllt sich nun der Konzertraum. Ich denke noch einmal über dieses Vorhaben nach und kann mir ein Lachen nicht verkneifen, denn mir fällt auf: Genau das habe ich mir auch im letzten Jahr und im Jahr davor schon mal gedacht. Was daraus geworden ist, wissen wir ja und noch während das Konzert läuft, schießen mir schon die Ideen für 2019 durch den Kopf.