SINGEN, um einfach nur zu SEIN – 1. LIVE-Probe

Montag, der 07.06.2021 – wirklich das letzte Mal online?!?
Es ist kurz vor 19:00 Uhr. Ich schnappe mir noch schnell meine Trinkflasche, setze mich vor den Laptop und öffne Zoom, um mich in die Chorprobe einzuloggen. Unterbewusst dämmert mir, dass das vielleicht meine letzte Online-Probe sein könnte. Und als ob Zoom das geahnt hätte, war der Probenzugang nicht mehr gespeichert. Nach einer panischen Suche des Meeting-Zugangs öffneten sich vor mir endlich die fast vierzig Videokacheln.

Einige Choris hatten bei Ihren Online-Proben so manche Mithörerschaft. 


Als ich dazu komme, ist es erstaunlich ruhig. Micha beginnt die Probe mit den Worten:

„Ich begrüße euch zur heutigen Chorprobe, der wahrscheinlich und hoffentlich letzten Online-Probe in diesem Format. Nächste Woche sehen wir uns dann endlich live wieder.“

Ruhe. Vereinzelte eher verhaltene Reaktionen sind zu sehen.
Sollten wir wirklich kommende Woche wieder richtig proben können? Nach gefühlten 8 Monaten? So ganz in echt? Mit Körper, Haut und Haar – Kopf, Herz und Hand? Gleichzeitig gemeinsam in einem Raum? Singend? Ob wir überhaupt noch richtig zusammen singen können?

Diese Fragen gingen mir durch den Kopf. Und so richtig trauten wohl auch andere diesem Frieden noch nicht.

Nach dem Einsingen probten wir in unseren Stimmgruppen die neuen Stücke. Im Sopran zwei gab es allerdings eine Besonderheit. Unser Bass Stefan war spontan bei Mira zu Besuch. Diese Gelegenheit nutzen wir gleich aus: “Ihr beide singt, wir singen stummgeschaltet mit. Dann haben wir gleich eine zweite Stimme und schon mal eine Kostprobe für kommende Woche.“ :D Bereits jetzt feierten wir diese Zweistimmigkeit. Die Vorfreude auf die kommende Woche stieg rasant, vor allem auch bei Hanna, die seit Januar neu bei uns dabei ist und uns bisher nur online kennengelernt hat.  
Am Ende der Probe schien dann die Anspannung zu platzen. Alle verabschiedeten sich überschwänglich und herzlich lachend mit einem „bis nächste Woche – dann in echt“.  

Mittwoch, der 09.06.2021 – Infowoche
Im Laufe der Woche warteten noch einige Mails auf uns mit wichtigen Infos zum Hygiene- und Probenkonzept und allerhand Probenbedingungen, um die gemeinsame Chorzeit sicher und pandemiekonform durchführen zu können. Das große Ereignis der kommenden Woche blieb mir so stets im Gedächtnis und das war auch im Austausch mit den anderen spürbar.

Montag, der 14.06.2021 – der Tag ist gekommen
08:30 Uhr – Vorbereitungen für die Probe
Ich stehe vor dem Testzentrum und warte auf meinen Ergebnisbescheid. Dies wird der Schlüssel sein, um an der Chorprobe heute Abend teilnehmen zu können. Bereits am Vorabend habe ich schon alle Noten zusammengepackt, das Hygienekonzept des Chors aufmerksam studiert und nochmal ein paar Lieder angesungen, um direkt nach der Arbeit starten zu können. Nur noch knapp 10 Stunden, dann geht’s endlich los. Und zum Glück – der Test ist negativ! 

14:00 Uhr – Vorfreude, schönste Freude
Ich sitze auf Arbeit vor meinem Laptop und schließe gerade ein Zoom-Meeting. Plötzlich überkommt mich ein Schwall der Aufregung, mein Herz fängt an zu klopfen – noch knapp 5 Stunden, dann würde ich endlich meine liebgewonnenen Choris wiedersehen und wir würden endlich wieder zusammen singen können. Nicht online, sondern live und in Farbe. Was vergangene Woche noch so unwirklich schien, ist nun nur noch ein paar Augenblicke entfernt.

17:30 – 18:39 Uhr – Ankommensstress
Ich packe schnell alles in meine Tasche und schmier` mir noch zwei Schnitten, die ich auf dem Fahrweg ins Industriegelände zu Robotron esse. Jetzt nur noch sicher ankommen.

Auf dem Weg zu Robotron begegnen manche Choris so manch furchtlosem Getier

Auf dem Weg zur Chorprobe ins Industriegebiet am gefühlten Ende Dresdens begegnet man schon mal dem ein oder anderen furchtlosen Getier.

„In 200m haben Sie Ihr Ziel erreicht“. 100 m – 50m – ich fahr an der Einfahrt des Robotrongeländes vorbei… Mir kommen zwei Choris mit dem Fahrrad entgegen und biegen in die gegenüberliegende Einfahrt ein. „Bitte wenden!“ Nach einer neuen Orientierung parke ich mein Auto und begegne Theres, unsere zweite Sängerin, die in den Online-Proben zu uns gestoßen ist. Wir laufen der Gruppe vor dem Gebäude entgegen und nähern uns einem fröhlichen Gemurmel. Nach dem Testcheck und der Unterzeichnung des Hygienekonzepts geht’s endlich rein.

18:45 Uhr – Gleich geht’s los
Stimmengewirr und Platzsuchchaos bestimmen die ersten 10 Minuten im Raum. Fröhliches Gemurmel und lächelnde Gesichter machen sich breit. Nachdem wir alle zweimal den Platz gewechselt haben, sind nun alle auf der richtigen Position, im richtigen Abstand. Währenddessen wurde noch die Live-Übertragung für die Choris daheim aufgebaut und angeschlossen.

Dennoch, dieses Gefühl der Normalität war schon fast überwältigend, denn wir dürfen ganz offiziell bei genügend Abstand und Vorsichtsmaßnahmen als gesamter Chor ohne Maske proben.
Im Herbst probten wir noch in geteilten Gruppen aller zwei Wochen mit Maske.

Glissando blubbern zum Erwärmen der Stimme

19:00 Uhr – Die Probe beginnt.
Stille. Micha hebt die Arme und signalisiert uns aufzustehen. Alle erheben sich. Die Stille bleibt. Der Chor ist bereit. Eine faszinierende Anspannung knistert im Raum. So konzentriert und pünktlich starteten wir lange nicht –  weder online noch live.

Nach einem schon sehr belebten und groovigen Einsingen und den ersten Gänsehautschauern bei so viel Stimmvolumen ging Micha mit dem ersten Song des Abends voll auf’s Ganze.

„Na dann, lasst uns mal schauen, was die Online-Proben gebracht haben. Wir starten mal mit einem Komplettdurchlauf von ‘Sein’.“

Das ist eines der Stücke, die wir online für unser neues CD-Programm einstudiert haben. Es nun mit allen erstmalig zusammen zu singen, glich auch für uns einer wahrhaften Premiere. Ob das funktionieren würde? Ich war noch etwas skeptisch!

Und dann – sangen wir. Nach 8 Monaten erklangen die Stimmen von mindestens 35 Personen erstmalig wieder mehrstimmig zusammen, bauten eine gemeinsame Atmosphäre, eine gemeinsame Geschichte auf – “um einfach nur zu sein”:

Zusammen zu SEIN – singend zu SEIN – beseelt zu SEIN

Ein wunderschöner gemeinsamer, schier zeitloser Moment hüllte uns ein und das Glück und die Freude waren sicht- und hörbar. Am Ende waren wir alle vom Ergebnis berührt, ein erleichterndes Klatschen, lachende Freudentränen schlossen sich diesem Augenblick an. Und selbst Micha, unser Chorleiter, war zu Tränen gerührt.

Ausschnitt aus unserem neuen Song “SEIN” (M.+L. Andreas Bourani), wundervoll für uns arrangiert von Tine Fris-Ronsfeld

Damit war es beschlossen! Es gibt kein Zurück mehr! Jetzt können und werden wir wieder musikalisch Vollgas geben.

Und so vergingen mit dem Singen bekannter Repertoire-Stücke und neuer Songs die eineinhalb Stunden wie im Flug. Glücklich über das Ergebnis nach so langer Zeit endete die erste gemeinsame Probe mit Jubelrufen und beschwingtem Beifall.

20:30 Uhr – Ausklang
Einen gebührenden Abschluss fand die Probe dann bei einem Becherchen Sekt, einer kurzen, alle Skeptiker vertreibenden Ansprache von Micha und entspannten Gesprächen im Freien. Die Begeisterung war bei allen spürbar und hielt sich auch bei mir bis in die Abendstunden, als ich dann beseelt und glücklich in meinem Bett landete. Singen macht glücklich – singen macht frei und zusammen ist es ein unsagbarer Schatz, der die eigene Seele zu beflügeln vermag.

Micha vertreibt alle Skeptiker: "Wir haben gar nicht so schrottig geklungen, wie manche erwartet haben."

Micha vertreibt alle Skeptiker: “Wir haben gar nicht so schrottig geklungen, wie manche erwartet haben.”

Ein gemeinsamer Schulterklopfer für das gute Ergebnis der 1. Probe

Schulterklopfen nach einer erfolgreichen 1. Live-Probe

Auf dass nun viele Live-Proben und baldige Konzerte auf uns und mit euch warten!

Es grüßt euch herzlich
Franzi 
(Sopran 2)