Dublin liegt in Colditz
Anja Schenkel
Colditz? Wo zum Himmel liegt eigentlich Colditz?
Ein Blick auf die Karte zeigt: im Landkreis Leipzig, direkt an der Zwickauer Mulde. Bekannt ist der Ort durch sein Schloss, in dem die Landesmusikakademie ihren Sitz hat. Und in diesem Schloss dürfen wir zwei Tage unter professionellen Probenbedingungen zu Gast sein.
Obwohl ich erst seit dem Sommer dabei bin, sage ich „wir“. Ich gehöre dazu, ganz selbstverständlich. Ein Teil des Jazzchors Dresden zu sein, erfüllt mit Stolz, aber auch mit Ehrfurcht. Das Repertoire ist anspruchsvoll, doch das gemeinsame Singen macht wahnsinnig Spaß! Besonders zusammen mit dieser bunten und fröhlichen Truppe.
Und nun steht ein ganzes gemeinsames Wochenende auf dem Plan. Singen, Tanzen, Rhythmus pur – und natürlich Kennenlernen.
Das Probenwochenende beginnt schon am Freitagabend in Dresden. Zu Gast ist die Maskenbildnerin Sabine Marschall, die uns in die Kunst des Bühnen-Make-Ups einweist. Auch die Männer machen mit, trotz anfänglicher Skepsis. Sabine arbeitet als Maskenbildnerin an der Semperoper und ist wirklich eine Meisterin ihres Fachs. Für jeden Typ hat sie eine Empfehlung, egal ob dezentes oder kräftiges Make up. Zwischen den musikalischen Proben testen wir die mitgebrachten Produkte, können Fragen stellen und probieren ihre Tipps aus. Am Ende stehen alle geschminkt im Probenraum, ein Hauch von Bühnenflair umweht uns. Die Ergebnisse können sich sehen lassen – vielleicht bei einem unserer nächsten Konzerte? ;-)
Apropos Konzert: Die Vorbereitung auf unseren gemeinsamen Auftritt mit „Cadence“ aus Kanada am 9.11. in den Ostra-Studios ist der Anlass für unser Intensiv-Wochenende. Am Samstagmorgen geht es mit dem Bus nach Colditz. Über dem Ort thront das Schloss, schmale Gassen führen dahin. Leider zu schmal für unseren Bus, die letzten Meter erklimmen wir zu Fuß. Kaum angekommen beginnt die Probe. Bis zum Abendessen stehen Songs wie „Take me Coco“ und „Yardbird Suite“ auf dem Programm, unterbrochen nur von Mittagessen und Zimmerverteilung. Die bringt eine Überraschung: ich (großer Irland-Fan) übernachte in „Dublin“, gleich nebenan liegt „Edinburgh“. Und das mitten in Colditz.
Auch nach dem Abendessen wird geprobt und hier lerne ich endlich den berühmten Jazzchor-Dance-Break kennen. Chorleiter Micha räumt das Feld und überlässt die Fläche den Tanzwütigen. Gut gelockert kann es dann weitergehen und es ist recht erstaunlich, was nach einem langen Tag Probe (noch) möglich ist.
Gegen 21 Uhr gehen wir zum gemütlichen Teil des Abends über. Los geht es mit einem Kennenlernspiel, bei dem nicht nur die „Neuen“ Interessantes über die anderen Chormitglieder erfahren. Es wird gespielt, geschwatzt und natürlich gesungen. Später am Abend kommt es zu einem ungeplanten Chor-Battle: Der Volkschor Eilenburg ist ebenfalls im Colditzer Schloss zu Gast und wir gehen sie besuchen. Wir singen „Seidamadei“ und „Straighten Up and Fly Right“, lauschen einem Lied des Volkschors und singen alle gemeinsam „Heyo, spann den Wagen an“. Zurück in unserem Aufenthaltsraum gibt es ein weiteres, ungeplantes Chor-Battle: diesmal zwischen zwei Sitzkreisen, die sich darin messen, Klassiker der Rock- und Pop-Geschichte zu schmettern. Und dann ein großes Hallo: Gegen Mitternacht kommt uns der Volkschor Eilenburg besuchen und präsentiert „Sah ein Knab ein Röslein stehen“. Wir kontern mit „I‘ll call thee Hamlet“ und trällern anschließend wieder alle gemeinsam, diesmal „Dona nobis pacem“ und zur Guten Nacht „Der Mond ist aufgegangen“. In Sachen Textsicherheit waren uns bei diesem Volkslied die anderen auf jeden Fall voraus. ;-)
Für einige Jazzchoristen war die Nacht sehr kurz, obwohl die Zeitumstellung uns eine Stunde mehr Schlaf ermöglichte. So dehnen wir am Sonntagmorgen zum Probenbeginn erstmal alle Knochen und Bänder mit Yoga, nachdem wir blubbernd unsere Stimmbänder gelockert haben.
Ein Durchlauf aller geplanten Stücke zeigt uns: Das Probenwochenende hat sich gelohnt! Nicht nur für die musikalische Qualität, sondern wir sind auch ein Stück (mehr) zusammen gewachsen. Und das ist nicht nur zu spüren, sondern auch zu hören.
Gemeinsam machen wir uns wieder auf den Rückweg: zu Fuß über enge Gassen zum Bus und mit diesem zurück nach Dresden. Colditz lassen wir hinter uns, aber wir wissen ja jetzt, wo es liegt. Und sollten wir wieder einmal ein Probenwochenende an der Zwickauer Mulde verbringen, würde ich ja gern wieder in „Dublin“ übernachten…
Fotos von Anja Schenkel