Der Start in eine neue Familie
Jennifer-Kathrin Kopp
Freitagmorgen 5.00 Uhr, der Wecker klingelt. Ich schleppe mich mit einer Mischung aus träger Müdigkeit der Woche und Vorfreude auf das bestehende Wochenende ins Bad. Denn an diesem Wochenende findet das Probewochenende des Jazzchor Dresdens in der Jugendherberge Görlitz „Altstadt“ statt. Nach getaner Arbeit treffen wir uns an der Bushaltestelle, denn eine gemeinsame Fahrt zum Bestimmungsort durfte nicht fehlen. Wir verteilen herzliche Umarmungen zu Beginn und suchen uns unsere Plätze. Die Reise beginnt. Meine Gedanken schweifen noch ab und zu zu den bevorstehenden Aufgaben in nächster Zeit, doch ein kleiner Wettbewerb im Jingle-Singen holt mich schnell wieder in die musikalische Welt zurück. Und plötzlich sind wir auch schon da.
Mit all unseren Koffern, Taschen, Instrumenten und natürlich den nigelnagelneuen Mikrofonen, die wir uns durch mehrere Wettbewerbs-Gewinne anschaffen konnten, erklimmen wir den pflastersteinbebauten Hügel zur Jugendherberge. Dort angekommen, inspizieren wir unsere Zimmer für die kommenden drei Tage, kaufen uns bei einem nahegelegenen Supermarkt noch Nervennahrung und treffen uns alle beim Abendessen wieder. Doch die Ruhe sollte nicht lange anhalten. Nach dem Essen starten wir mit der ersten Probe. Insgesamt acht sind für dieses Wochenende vorgesehen. Die Anzahl weckt in mir eine kleine Art der Anspannung…Würde meine Stimme das ganze Wochenende durchhalten? Kann ich dem Jazzchor wirklich zeigen, dass ich zu ihm gehören kann? Trotz dessen ich die Aufnahmeprüfung bestanden habe, hatte ich das Gefühl, dass das Wochenende das eigentliche Aufnahmeritual darstellt. Passte man mit den Menschen zusammen? Kann die Stimme genug, um ein ganzes Wochenende mitzuhalten? Die erste Probe ist geschafft und wir verbringen den restlichen Abend mit Gesellschaftsspielen und einer Menge an salzigen und süßen Knabbereien.
Samstag morgen, 8.00 Uhr. Teller- und Besteckrascheln tönen durch den Speiseraum der Jugendherberge Görlitz. Wenn 40 Leute zum selben Zeitpunkt frühstücken möchten, kann es schon etwas lauter werden. Um die Stimme vor dem langen Probentag nochmal zu ölen, sind literweise Tee mit Honig, Kaffee und Wasser auf den Tischen zu finden. Und dann geht es auch schon los. Mit ein paar Tanzschritten sowie Aufwärm- und Rhythmusübungen startet der Tag. Wenn die Stimme schwingt, dann sollte der Körper swingen. Mit dabei: Immer eine riesige Tasse an Tee, damit wir ordentlich hydriert bleiben. Mit Körper, selbstgebasteltem Shaker (aus einer Flasche und Reis- Vorsicht nicht mit Wasser befüllen!), Stimme und Einsatz swingen wir aufeinander ein. Besonderes Highlight an dem Tag ist, dass wir unsere neuen Mikrofone ausprobieren dürfen. Nachdem die wichtigsten Dinge eingestellt sind, können wir ein paar Lieder des bestehenden Repertoires durchsingen und jeder darf währenddessen einmal vor den gesamten Jazzchor treten und lauschen, was soll ich sagen…? Es ist einfach nur der Hammer! Wer den Jazzchor kennt, weiß, dass wir verdammt gut klingen, aber mit der richtigen Technik kommen die Gänsehaut, die (Freuden-)Tränen und das berauschende Gefühl, das Musik in uns allen auslöst und die Welt für einen Moment so unfassbar unwirklich scheinen lässt.
Mit diesem Gefühl gehen wir am Nachmittag auf den Untermarkt von Görlitz und geben ein kleines Gratiskonzert. Auch wenn die gefühlten 3°C eisig sind, tanzen und singen wir, bis es allen warm ums Herz ist. Diese gibt es reichlich am Wochenende und gekrönt wird der Tag durch einen besonderen Abend, an dem einzelne Mitglieder vorbereitete Lieder zur Schau tragen. Mit Gitarre, Klavier, Playbacks und natürlich ihren Stimmen können sie ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Es ist so viel positive Energie im Raum, dass wirklich alle sie spüren können. Wir sind eine große, einzigartige, liebevolle, chaotische Familie, die die Liebe zur Musik bindet und verbindet. Und ich habe diese Familie in Dresden gefunden, die einfach nur großartig ist.
Zwei, drei Tassen Wein später scheint diese Herzlichkeit auch im Rest der Jugendherberge angekommen zu sein, denn plötzlich steht eine Gruppe junger Männer in den Türen unseres Probenraumes. Um zu zeigen, wer wir sind, gibt es auch hier eine kleine Kostprobe unserer Sangeskunst. Aber wer sind diese freudigen Menschen? Es stellt sich heraus, dass sie zur Band „#zweiraumsilke“ gehören, die, wie wir, in der Jugendherberge untergebracht sind. Nagut, dass wir eine Gitarre und ein E-Piano bereitstehen haben. Kurzerhand wird eine Transportbox zur Cajon umfunktioniert, unser Chorleiter Micha stellt seine Beatbox-Künste zur Verfügung, Klavier und Gitarre werden besetzt und schließlich der noch fehlende Sänger der Band geweckt, damit wir alle noch ein bisschen Spaß miteinander haben können und DEN hatten wir! Wieder dabei…unendlich viel Liebe und eine lange Nacht…
Sonntag morgen, 7.45 Uhr…Was? Schon alles vorbei? Okay, noch nicht ganz. Nach dem Frühstück müssen wir allerdings schon direkt unsere Taschen packen und die Zimmer räumen. Aber es stehen noch zwei Proben an. Die Stimmen, gezeichnet von den gesanglichen Eskapaden der Nacht, werden langsam warm gemacht und nochmal auf mehrere Stunden Proben vorbereitet… Die letzte gemeinsame Mahlzeit ist gegessen, der Probenraum auf Werkszustand zurückgesetzt, alle Taschen zusammengeräumt und zum Bus zurück getragen. Wir umarmen uns alle nochmal herzlichst und verabschieden uns in die Osterpause und ich lasse das Wochenende nochmal Revue passieren…
So viele unterschiedliche Menschen, die sich die Zeit nehmen, gemeinsam etwas Wundervolles zu schaffen, das Köpfe und Herzen mit so unglaublich viel Liebe füllt. Auch meines. Ich bin froh, Teil dieser wahnsinnig tollen Gruppe geworden zu sein und freue mich auf unsere bevorstehenden Abenteuer. Wenn Ihr auch ein bisschen Herzlichkeit und ganz viel Musik erfahren möchtet, kommt gerne zu einem unserer nächsten Konzerte!
Die Fahrtkosten zu diesem Projekt wurden durch den Sächsischen Musikrat gefördert und mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.